Freitag, 22. Mai 2009

Richard Yates: Easter Parade

Wie wird man eigentlich glücklich? Ist mein Weg der Königsweg oder deiner? Muss man dazu in New York leben, unabhängig, sein eigenes Geld verdienen, jede Woche andere Männer treffen - wie Emily? Oder findet man das Glück in der Vorstadt, mit dem gutaussehenden Ehemann, dem kleinen Häuschen und den vier Söhnen – wie Sarah?

Emily und Sarah sind zwei Schwestern, intellektuell und in sich gekehrt die eine, offen und ein bisschen einfach, die andere. Die Voraussetzungen, die ihnen das Leben mit gibt, sind identisch - geschiedene Eltern, die Mutter launisch und trinksüchtig, der Vater depressiv und erfolglos, die Mädchen geprägt durch die Streitereien der Eltern und unzählige Umzüge.
Beide brechen so früh wie möglich aus dieser Unglücks-Spirale aus: Sarah heiratet früh - zwar nicht den Erst- aber den Zweitbesten – und wird schnell Mutter; Emily zieht nach New York, geht aufs College, macht ein bisschen Karriere, hat viele Beziehungen.

Sobald aus den Mädchen erwachsene Frauen werden, eröffnen sie einen traurigen, verletzenden Wettbewerb – welcher ist der Königsweg zum Glück? Deiner, meiner? Welche Schwester lebt das bessere Leben? Je stärker die beiden konkurrieren, desto mehr entfremden sie sich. Sie haben sich nichts mehr zu sagen, betrachten das Leben der jeweils anderen herablassend, mitleidig, fast spöttisch. Jede scheint für sich zu glauben, das eindeutig bessere, erfülltere Leben zu leben – und versucht die Schwester davon zu überzeugen. Beide übersehen dabei die eigenen Probleme und die der Schwester sowieso, bis es zu spät ist.

Die Moral der Geschichte ist bitter: Den obwohl beide Frauen völlig unterschiedliche Wege eingeschlagen, erreichen sie doch das gleiche Ziel. Es ist ein sehr einsames.

Richard Yates. Easter Parade. Btb, 296 Seiten. 

Zwei Mal Rankin

Natürlich mag ich anspruchsvolle Literatur. Selbstverständlich sollen es Bücher einem nicht immer leicht machen, sie sollen einen herausfordern, bestenfalls reibt man sich an ihnen. Anstrengend dürfen sie bisweilen auch sein, über die anstrengenden lässt sich sogar mehr sagen, man muss sich ein bisschen über sie aufregen. Manchmal zählt man sie deshalb zu den schlechteren Büchern, aber gerade von diesen bleibt mehr hängen.

Ich mag anspruchsvolle Literatur, aber ich lese nicht immer welche. Ich mag ja auch tolles Essen und gehe trotzdem hin und wieder zu McDonald's. Aber Ian Rankin hier mit einem Burgerbrater zu vergleichen, ist unpassend. Er schreibt sehr gute Krimis auf gehobenem, gut bürgerlichem Niveau. Also eher Geschnetzeltes mit Spätzle. Weiß man, was man kriegt, schmeckt gut, weiter geht's.

Das Souvenir des Mörders erfüllt demnach alle Erwartungen: Inspector Rebus muffelt sich wie gewohnt durchs verregnete Schottland, pendelt zwischen Edinburgh, Glasgow und Aberdeen genauso wie zwischen drei Mordfällen. Legt sich - wie vertraut! - mit allen zur Verfügung stehenden Vorgesetzten an, und ist am Ende doch wieder der einzige, der alles durchschaut und die Fälle lösen kann. Dazwischen trinkt er eine halbe Distille leer oder hängt, wie er es selbst nennt an der "Whisky-Infusion". Er isst nichts oder schlechtes Zeug, wäscht sich selten oder kaum ausreichend. Dass Frauen trotzdem noch seine Nähe suchen, ist einer der wenigen unglaubwürdigen Aspekte dieses Buches. Einer der säuft, kaum schläft, sich nur ab und zu wäscht und auch noch stark auf die 50 zu geht, taugt nicht zum Womanzier, auch wenn er die Hauptfigur einer sehr erfolgreichen Krimireihe ist.

Michael Weston, der Auftragskiller aus Bis aufs Blut ist das absolute Gegenteil - vielleicht hatte Ian Rankin auch mal Lust auf einen Protagonisten, der täglich die Unterhosen wechselt. Weston ist Mitte 30, sieht gut aus, verdient abartig viel Geld - aber eben mit Auftragsmorden. Er ist ein Scharfschütze, das heißt, er erledigt seine Opfer aus sicherer Entfernung. Nur - beim letzten Mal hat ihn wohl jemand verpfiffen, die Polizei kommt ihm gefährlich nahe, ebenso ein dicker versoffener und verkokster Privatdetektiv aus New York. Anstatt sich abzusetzen beißt sich Weston an der irrsinnigen Idee fest herausfinden zu müssen, wer ihn verpfiffen hat und begibt sich auf eine wahnwitzige Schnitzeljagd von London über Schottland bis nach Seattle. Bei der sich der Leser, im Gegensatz zur Hauptfigur selbst, relativ frühzeitig fragt, ob der smarte Killer sich nicht gerade den Holzweg frei schießt.
Was spannend und ungewöhnlich beginnt, wird zu einer völlig überdrehten Hatz ohne Rücksicht auf Verluste, mit viel Kollateralschaden und allen Details zu Waffen, die Ian Rankin recherchieren konnte. Das war dann wirklich zu martialisch. Dass ich trotzdem bis zum Ende dabei blieb, lag nur daran, dass ich ein bisschen verschossen war in Michael Weston. Aber nur ein bisschen.

Ian Rankin. Das Souvenir des Mörders. Goldmann, 2005. (Engl. Black & Blue)

Ian Rankin. Bis aufs Blut. Goldmann, 2009. (Engl. Bleeding Hearts)

David Benioff: City of Thieves

Seit fast zwei Monaten drücke ich mich darum, über dieses Buch zu schreiben, weil es so großartig war, dass ich vielleicht gar keine Wort dafür finde. Oder ich finde welche, und sie klingen nur hohl, und umreißen nicht einmal ungefähr die Geschichte, die David Benioff auf atemlosen, poetischen 309 Seiten erzählt. Aber einen Versuch ist es wert, auch weil Annett zu Recht drängt.

"My grandfather, the knife fighter, killed two Germans before he was eighteen."

Ich lese diesen ersten Satz, und noch bevor ich weiter lese weiß ich, dieses Buch ist wunderbar. Erste Sätze sind wichtig, sie sind die Eingangstür für jeden Text, an ihnen entscheidet sich in wenigen Sekunden, ob man über die Schwelle tritt, ob man sich auf die Geschichte einlässt, auf die Sprache, den Stil.

Man tritt also durch die Tür und von irgendwo fällt ein schwacher Lichtstrahl in den dunklen Flur, die Geschichte wird kurz sichtbar. Der Großvater hat zwei Deutsche getötet, vor seinem 18. Geburtstag. Er verrät nicht viel, dieser Lichstrahl, aber er zieht einen weiter in dieses dunkle Haus, in die Geschichte. Wer ist dieser Großvater, was ist ihm passiert?

Lew ist dieser Großvater, im Januar 1941 ist er 17 Jahre alt, ein schmächtiger, halb verhungerter jüdischer Junge, der Vater tot, Mutter und Schwester aus Leningrad geflüchtet. Dort verschanzt sich Lew mit anderen, halben Kindern, und eines Nachts baut er Mist und landet im Gefängnis. Vom Krieg längst aller Illusionen beraubt, rechnet Lew mit dem sicheren Tod. Da stecken sie Kolja zu ihm in die Zelle, einen blonden, selbstverliebten Dissidenten. Keine 24 Stunden später stehen die beiden in der klirrenden Kälte und begeben sich auf die Suche nach zwölf Eiern. Der Geheimdienstchef hat sie auf diese Reise geschickt - "bringt mir zwölf Eier für die Hochzeitstorte meiner Tochter" - schaffen sie es bis zum Ende der Woche, sind sie frei. Der Geheimdienstchef weiß, wie unlösbar diese Aufgabe ist, nirgendwo in Leningrad gibt es zu dieser Zeit solche Luxusgüter, geschweige denn lebende Hühner, die welche produzieren könnten. Überall wimmelt es vor Soldaten, Spionen, Nazis. Die beiden Jungs auf diese Reise zu schicken, bedeutet ihren sicheren Tod, und der Geheimdienstchef hat seine sadistische Freude daran.

Aber er unterschätzt, welche Kräfte in einem frei werden, wenn der Tod einem an den Hacken klebt. Und er weiß nicht, welche Macht Freundschaft entwickeln kann.

Lew und Kolja machen sich auf den Weg und es wird eine gefährliche, verrückte, fantastische, manchmal rührende, oft beängstigende, grausame Suche.
Die Geschichte darüber kann man aber eigentlich gar nicht erfinden. Und wenn doch - es ändert nichts daran, dass sie großartig ist.

David Benioff. City of Thieves. Sceptre, 2009. (Dt. Stadt der Diebe)