Mittwoch, 10. Juni 2009

Jaume Cabré: Die Stimmen des Flusses

Nach ein paar Seiten wollte ich dieses Buch wieder weg legen. Weil ich auch nach fast 100 Seiten noch nicht wirklich viel verstanden hatte. Ständig wechselten die Orte, die Zeiten, die Personen. Mal war es der Vatikan, dann wieder ein Bergdorf in den Pyrenäen, mal 1943, dann wieder 2005, mal waren die Figuren jung, dann wieder uralt - und das alles auf einer einzigen Seite, ein Gewirr aus Stimmen, Gefühlen und Bildern. Dazu so viele Informationen, die ich nicht einordnen konnte, weil ich kaum etwas weiß über das Spanien der Franco-Zeit.

Man muss dieser Geschichte Zeit geben, sich auf sie einlassen - wenn man das geschafft hat, zieht sie einen in ihren Bann und es ist plötzlich ganz einfach, ihr zu folgen. Cabré schafft es, dass Vergangenheit und Gegenwart manchmal gleichzeitig stattfinden, mühelos blendet er in einem Satz vom Jahr 1943 ins Jahr 2005 und wieder zurück. Erzählen die Figuren ihre Geschichte, scheint ihr jüngeres Alter Ego daneben zu stehen, es nimmt den Faden auf und plötzlich sind wir mitten drin. Und das alles ohne harte Schnitte, als würden die Zeiten unmerklich miteinander verschwimmen.

Und was ist die Geschichte?
 1943 kommt der junge Lehrer Oriol in das Pyrenäen-Dorf Torena. Schnell versuchen die Franco-Anhänger, allen voran der brutale Bürgermeister, ihn zu instrumentalisieren. Er scheint sich nicht zu wehren, seine Frau beginnt, ihn zu verachten, Dorfbewohner schneiden ihn. Gleichzeitig verfällt ihm die reiche und mächtige Elisenda. Im Herbst ist Oriol tot, ermordet von Gegnern des Regimes, und Elisenda treibt seine Seligsprechung voran.
Im Jahr 2005, kurz bevor im Vatikan eben diese Seligsprechung vollzogen werden soll, entdeckt die Lehrerin Tina das Tagebuch Oriols, einen langen Brief an seine Tochter, den er kurz vor seinem Tod geschrieben hat. Tina beginnt an Oriols öffentlichem Bild zu zweifeln, war er wirklich der, für den ihn alle halten? 

Mit ihren Nachforschungen kommt die wahre Geschichte an die Oberfläche, und so wird aus Die Stimmen des Flusses eine Familiensaga, eine Dorfchronik, ein Krimi, eine Liebesgeschichte – über sechs Jahrzehnte, bis zum Schluss atemlos erzählt.

Jaume Cabré. Die Stimmen des Flusses. Suhrkamp, 666 Seiten. 

Wolfgang Koydl: Fish and Fritz. Als Deutscher auf der Insel

Seltsamerweise lesen sich manche Sachen auch nach dem hundertsten Aufguss immer noch ganz amüsant. In diese Kategorie gehören neben Krimis auch Erlebnisberichte von Auslandskorrespondenten. 

Ganz besonders hervor stechen hier Großbritannien-Korrespondenten, denn eigentlich hat keiner auch nur etwas neues zu berichten, und das schon seit Jahrzehnten. Nicht nur ist immer noch die Königin die gleiche, nein, auch die Briten selbst haben sich kaum verändert (mal abgesehen davon, dass sie jetzt vielleicht besseres Essen kochen): Sie stehen Mischbatterien noch immer feindlich gegenüber, sie wetten immer noch gerne, sie haben noch immer einen bizarren Humor und so weiter.

Die Erfahrungen der Korrespondenten unterscheiden sich demnach auch nicht einmal in Details voneinander: Wir begleiten den Korrespondenten und seine Familie, wie sie kopfschüttelnd Schuhkarton-große, überteuerte Häuser besichtigen, durch Hotelflure irren, den Klempner von einer Mischbatterie überzeugen wollen und so weiter.

Trotzdem ist es jedes Mal wieder schön – denn während sich anspruchsvolle Literatur so liest, wie sich ein Tag auf Zehn-Zentimeter-Stilettos anfühlt, dann gehört der  Auslandskorrespondenten-Bericht zu den bequemen Hausschuhen, in die man nach einem harten Stiletto-Tag gerne schlüpft. Vor allem, wenn man Großbritannien mag, und die Briten auch ein bisschen kennt.

Wolfgang Koydl macht also nichts anders als die Kollegen, aber er macht es gut. Als loser roter Faden ziehen sich übrigens seine Bemühungen, die Königin persönlich zu treffen, durchs Buch. Was daran wahr und was erfunden ist, wage ich mir nicht vorzustellen - aber es hat großen Spaß gemacht.

Wolfgang Koydl. Fish and Fritz. Als Deutscher auf der Insel. Ullstein, 2009.