Mittwoch, 19. August 2009

Judith Lennox: Die geheimen Jahre

Widmen wir uns heute einem wichtigen Stilelement historischer und zeitgenössischer Literatur: Der unheilvollen Dreier-Konstellation. Auch bekannt als: Eine Frau zwischen zwei Männern. Sie schmückt Shakespeare'sche Komödien ebenso wie aktuelle TV-Doku-Dramen, und auch die Bücher von Judith Lennox.

Die spielen meist in der Vor-, Zwischen- oder Nachkriegszeit und kreisen dabei unablässig um die eigensinnige, rothaarige weibliche Hauptfigur, um die wiederum zwei kernige, nicht minder eigensinnige Kerle buhlen. Judith Lennox kann man dabei noch zugute halten, dass sie es versteht, gleichzeitig historische Themen aus dem frühen 20. Jahrhundert anschaulich zu verpacken. 

Aber schon nach ein paar Seiten ist klar: Es geht doch nur um die Rothaarige und die beiden Kerle – nur einer kann die holde Maid haben, also wird der andere wohl leider sterben müssen. Bis dahin wird es noch ein paar Missverständnisse und Verwicklungen geben, die man auch bei Shakespeare, "Verbotene Liebe" oder verschiedenen TV-Doku-Dramen (Sturmflut, Mauerbau...) schon gesehen hat, und dann wird die Rothaarige nach 700 Seiten erleichtert einem der Kerle in die Arme sinken. Happy End. Kennste eine, kennste alle. Und im vorliegenden Buch gibt's sogar noch ne Sturmflut mit dazu.

Das liest sich so locker weg, dass man beschließt, nun aber wirklich genug von Judith Lennox gelesen zu haben. Gleichzeitig erfolgt der Schwur, sich in Zukunft wieder häufiger durch die Empfehlungen des Feuilletons zu ackern, ja sich vielleicht sogar noch mal T.C. Boyles The Women vorzunehmen. In Wahrheit ist auch hier der Verlauf programmiert: Es wird der Winterabend kommen, an dem das Leserherz nach einer unheilvollen Dreier-Konstellation lechzt, und da wird Judith Lennox warten und eine neue Schnulze bereit halten. Seufz.

Judith Lennox. Die geheimen Jahre. Piper, 720 Seiten. (Engl. The Secret Years)


Tom Wolfe: Fegefeuer der Eitelkeiten

Schon der Name. Könnte nicht treffender, verräterischer sein. Erzählt eigentlich schon die ganze Geschichte. "Sherman McCoy". Das ist die Hauptfigur in diesem 900-Seiten-Epos, in dem die Geschichte fast 400 Seiten braucht, um in Gang zu kommen – und trotzdem steht auf diesen 400 Seiten kein überflüssiges Wort. Und auch auf keiner der folgenden.

Sherman McCoy ist genauso, wie sein Name klingt. Stinkreich, schnöselig, oberflächlich. Ein New Yorker Finanzgenie mit riesigem Apartment an der Park Avenue, teuren Anzügen, frigider Ehefrau und einer durchgeknallten Geliebten. Allein diese Geliebte, Maria. Wie sie mit ihrem Südstaaten-Slang seinen Namen ins Lächerliche zieht. "Shumun", nuschelt Maria und zieht dem selbst ernannten Master of the Universe mit zwei Silben die Hosen aus. Es dieses Genuschele, das Sherman McCoy noch das Genick brechen wird.

Sherman McCoys angenehmes Leben nimmt eine unangenehme Wendung, als er sich zusammen mit Maria auf der Fahrt vom Flughafen nach Manhattan in die Bronx verirrt. Es gibt ein Missverständnis mit zwei jungen Männern am Straßenrand, als dessen Folge Maria das Steuer übernimmt, Gas gibt und einen der Männer anfährt. Einer klassischer Fall von Fahrerflucht – dass er mit seiner Geliebten unterwegs war, von der keiner wissen darf, ist bald Shermans geringstes Problem. 

Es treten auf: Ein junger, erfolgshungriger Staatsanwalt, ein versoffener abgebrannter Journalist, ein schwarzer Bürgerrechtler – und noch ein paar andere Gestalten, die bald wie die Aasgeier um Shermans kleine, feine Park-Avenue-Existenz kreisen. Denn bald nach dem Unfall liegt der junge Mann aus der Bronx mit lebensgefährlichen Verletzungen im Krankenhaus, Sherman wird als Unfallflüchtiger identifiziert – und damit Hauptfigur, Star oder Opfer (wie man will) eines Feldzuges gegen den "großen weißen Angeklagten", Bronx gegen Manhattan, Schwarz gegen Weiß, Arm gegen Reich. An Sherman soll ein Exempel statuiert werden, er soll bluten für die Ungerechtigkeiten einer Stadt, der ganzen Welt, und einem Oberstaatsanwalt nebenbei auch noch zu ein paar wichtigen Wählerstimmen verhelfen.

Und so kommt langsam die Geschichte in Gang, anfangs noch schleppend, quietschend greifen die Zahnräder ineinander, bis am Ende alles wirklich läuft wie geschmiert und auch der letzte Aasgeier sein Stück vom Kuchen bekommen hat.

Großartiges Buch. Und passt, obwohl schon 20 Jahre alt, hervorragend zur Finanzkrise.

Tom Wolfe. Fegefeuer der Eitelkeiten. Rowohlt, 928 Seiten. (Engl. Bonfire of Vanities)