Freitag, 22. Mai 2009

David Benioff: City of Thieves

Seit fast zwei Monaten drücke ich mich darum, über dieses Buch zu schreiben, weil es so großartig war, dass ich vielleicht gar keine Wort dafür finde. Oder ich finde welche, und sie klingen nur hohl, und umreißen nicht einmal ungefähr die Geschichte, die David Benioff auf atemlosen, poetischen 309 Seiten erzählt. Aber einen Versuch ist es wert, auch weil Annett zu Recht drängt.

"My grandfather, the knife fighter, killed two Germans before he was eighteen."

Ich lese diesen ersten Satz, und noch bevor ich weiter lese weiß ich, dieses Buch ist wunderbar. Erste Sätze sind wichtig, sie sind die Eingangstür für jeden Text, an ihnen entscheidet sich in wenigen Sekunden, ob man über die Schwelle tritt, ob man sich auf die Geschichte einlässt, auf die Sprache, den Stil.

Man tritt also durch die Tür und von irgendwo fällt ein schwacher Lichtstrahl in den dunklen Flur, die Geschichte wird kurz sichtbar. Der Großvater hat zwei Deutsche getötet, vor seinem 18. Geburtstag. Er verrät nicht viel, dieser Lichstrahl, aber er zieht einen weiter in dieses dunkle Haus, in die Geschichte. Wer ist dieser Großvater, was ist ihm passiert?

Lew ist dieser Großvater, im Januar 1941 ist er 17 Jahre alt, ein schmächtiger, halb verhungerter jüdischer Junge, der Vater tot, Mutter und Schwester aus Leningrad geflüchtet. Dort verschanzt sich Lew mit anderen, halben Kindern, und eines Nachts baut er Mist und landet im Gefängnis. Vom Krieg längst aller Illusionen beraubt, rechnet Lew mit dem sicheren Tod. Da stecken sie Kolja zu ihm in die Zelle, einen blonden, selbstverliebten Dissidenten. Keine 24 Stunden später stehen die beiden in der klirrenden Kälte und begeben sich auf die Suche nach zwölf Eiern. Der Geheimdienstchef hat sie auf diese Reise geschickt - "bringt mir zwölf Eier für die Hochzeitstorte meiner Tochter" - schaffen sie es bis zum Ende der Woche, sind sie frei. Der Geheimdienstchef weiß, wie unlösbar diese Aufgabe ist, nirgendwo in Leningrad gibt es zu dieser Zeit solche Luxusgüter, geschweige denn lebende Hühner, die welche produzieren könnten. Überall wimmelt es vor Soldaten, Spionen, Nazis. Die beiden Jungs auf diese Reise zu schicken, bedeutet ihren sicheren Tod, und der Geheimdienstchef hat seine sadistische Freude daran.

Aber er unterschätzt, welche Kräfte in einem frei werden, wenn der Tod einem an den Hacken klebt. Und er weiß nicht, welche Macht Freundschaft entwickeln kann.

Lew und Kolja machen sich auf den Weg und es wird eine gefährliche, verrückte, fantastische, manchmal rührende, oft beängstigende, grausame Suche.
Die Geschichte darüber kann man aber eigentlich gar nicht erfinden. Und wenn doch - es ändert nichts daran, dass sie großartig ist.

David Benioff. City of Thieves. Sceptre, 2009. (Dt. Stadt der Diebe)

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