Freitag, 27. Februar 2009

Gedanken zu... Wohnsitzen

Ein sicheres Indiz dafür, dass man irgendwie Berühmtheit erlangt und es sogar zu etwas gebracht hat, ist die Angabe zweier Wohnsitze. Da liest man ein Interview mit oder ein Porträt über einen Sänger, Schauspieler, Politiker, Fußballer whatever und dann steht da ungefähr dieses: XY wurde 1964 in Wuppertal geboren, besuchte nach dem Abitur die Schauspielschule Z in AB. 1996 gelang ihm mit der TV-Serie C der Durchbruch. Er lebt mit Frau und vier Kindern in D und E.

Beispiele? Letztens auf Spiegel Online gelesen: Jon Fleming Olsen ("Dittsche") lebt in Hamburg UND Eckernförde. Martin Suter lebt auf Ibiza UND in Guatemala. Die Witwe von Friedrich Dürrenmatt lebt in St. Gallen UND in München. Und so weiter und so fort.

Natürlich bin ich neidisch. Ich lebe nur in München. Ich kann mir keinen zweiten Wohnsitz leisten. Ich kann auch schlecht angeben, in München UND in Untereßfeld zu leben. Weil es nicht stimmt. Ich lebe in München, ich komme im Schnitt alle sechs bis acht Wochen nach Untereßfeld. Ich schlafe dann zwar meistens in meinem alten Zimmer, aber auf einem Ausziehsofa, das meine Eltern für mich und andere Gäste gekauft haben, und das definitiv zur Förderung eines Bandscheibenvorfalls beiträgt. Außerdem sieht mein Zimmer auch nicht mehr wirklich aus wie mein Zimmer, weil seit einigen Jahren der Computer meiner Eltern hierher ausgelagert wurde, und mein Vater hier bei Ebay surft. Das ist zu wenig für einen Zweitwohnsitz, wir bräuchten hier schon mindestens eine Ferienwohnung. Gibt's in Untereßfeld aber nicht. Abgesehen davon, dass Untereßfeld weder Ibiza noch Guatemala noch St. Gallen ist. Eher Eckernförde.

Praktisch gesehen, machen zwei Wohnsitze aber auch nur Ärger. Man braucht alles doppelt, angefangen beim Schlafzimmerschrank bis zum Klopapier. Wenn man an dem einen Wohnsitz ist, muss man sich trotzdem um den anderen kümmern: Gießt jemand die Blumen, hat man dort überhaupt Pflanzen oder lohnt sich das überhaupt? Haben wir beim letzten Mal eigentlich den Herd ausgemacht? Blöd, dass Guatemala und Ibiza so weit entfernt liegen, kann man nicht einfach mal nachgucken. Und immer muss man seine Sachen mit sich rumschleppen und vermisst dann wahrscheinlich auf Ibiza irgendeine Sache, die man in Guatemala liegen gelassen hat. Blöd. Außerdem riecht es auf Ibiza in den ersten Tagen vielleicht noch muffig, weil so lange nicht gelüftet wurde, und außerdem ist der Kühlschrank leer und wahrscheinlich kommt man Samstagnacht an und kann den ganzen Sonntag nicht einkaufen.

Menschen, die sich zwei oder mehr Wohnsitze leisten können, haben diesen Ärger natürlich nicht. Die haben Putzfrauen, Haushälterinnen und persönliche Assistenten, die sich um sowas kümmern. Ob meine Mutter unseren Zweitwohnsitz in Untereßfeld ab und zu mal lüften würde, wenn wir einen hätten? 

Mittwoch, 25. Februar 2009

J.R. Moehringer: Tender Bar

Erinnert sich noch jemand an "Cocktail", diesen sehr vorhersehbaren, einfach gestrickten Film mit Tom Cruise aus dem Jahr 1988? Weder ist er ein Meilenstein der Filmgeschichte noch wirft er ein strahlendes Licht auf Cruises schauspielerisches Talent - aber ich liebe ihn und habe ihn seit 1990 oder 1991 mindestens 200 Mal gesehen. Ich kann alle Dialoge mitsprechen und heule mir spätestens ab der Aufzugszene ("Fass sie nicht an, sie ist schwanger!") die Augen aus.

Für alle, die jetzt nicht ganz folgen können: In "Cocktail" spielt Tom Cruise das Milchgesicht Brian Flanagan, das erst als Barkeeper groß raus kommt und dann natürlich die große Liebe findet (Elisabeth Shue). Und am Ende kriegen sie auch noch Zwillinge. 
Tender Bar hat mich schwer an den Anfang dieses Films erinnert: Da landet Brian Flanagan nach harten Monaten in der Armee und einer langen Busfahrt endlich wieder in New York und kurze Zeit später in der Kneipe von Onkel Pat in Queens. 

Tender Bar ist wie Pats Kneipe: Unprätentiös, bodenständig – nicht wie die Schickimicki-Bars in denen Brian Flanagan dann arbeitet.

J.R. Moehringer – im Erstberuf Reporter, er hat schon einen Pulitzerpreis – hat hier einfach nur getan, was er wahrscheinlich am besten kann: Er hat aufgeschrieben, was er sah, hörte und fühlte. Man kann das Duftgemisch aus Burgerfett, Alkoholfahnen und Zigarettenrauch riechen. Man ist kurz davor, Onkel Charlie zerknitterte Dollarscheine über den Tresen zu schieben, mit Dalton über Rilke zu philosophieren oder Bob the Cop ein Buch zu leihen. Man wünscht sich nichts sehnlicher als im Umkreis von maximal zwei Kilometern genau diese Kneipe zu finden, um sich dort an die Theke zu ketten.

Und wenn es stimmt, was Moehringer im Nachwort schreibt, ist nicht einmal eine Zeile erfunden, sind nicht einmal die Namen geändert. Diese skurilen, verrückten, liebenswerten Menschen hat es wirklich gegeben oder es gibt sie sogar noch. Was für die wenigsten Menschen allerdings existiert, ist eben eine Kneipe genau wie diese. Ein verlängertes Wohnzimmer, fast rund um die Uhr besetzt mit Menschen die dich kennen, mögen und die dir zuhören. Als ich das letzte Mal eine Kneipe besuchte, ohne mich vorher dort mit einer bestimmten Person zu verabreden, war ich 19. Ich brauchte mich nicht zu verabreden, weil es sowieso nur diese eine Kneipe gab und damit keinen anderen Ort, an dem man seinen Abend verbringen konnte. Ich trauere diesen Zeiten nicht hinterher, aber es wäre schön, sowas mal wieder zu haben.

J.R. Moehringer hat es auch nicht mehr, aber er hat dieses Buch geschrieben. Das, auch wenn es melancholisch, fast traurig endet, sich so liest, wie ein milder, honigfarbener Single Malt schmeckt.

J.R. Moehringer. Tender Bar. Fischer, 2008. (Engl. The Tender Bar, 2005)

Montag, 16. Februar 2009

Ohne mich

Bücher, die ich nicht lesen werde:

P.S. Ich liebe Dich, und alle anderen Schmonzetten in blauen Einbänden mit Wolkenschrift.

Der Herr der Ringe, alle drei Teile. Die Filme fand ich gut, beim Buch bin ich bei Tom Bombadil stecken geblieben. Kenner wissen, dass das kurz hinterm Anfang ist. Ich hab's halt nicht mit Fantasy. Außerdem war Tolkien Sprachwissenschaftler und Sprachwissenschaft hab ich nach dem Grundstudium abgewählt. Mit großer Erleichterung.

Der Schwarm. Es muss auch Leute geben, die es nicht kennen. Ich opfere mich.

Mehr Bücher von Pascal Mercier. Es muss Leute geben, die Nachtzug nach Lissabon nicht mögen. Ich opfere mich.

Mehr von Ilkidiko von Kürthy. Siehe blauer Einband/Wolkenschrift. Bin einfach nicht Zielgruppe.

Alles von Stephenie Meyer. Meine Angst, "Most harmless Vampire of the World" Edward Cullen für den Rest meines Lebens zu verfallen, ist zu groß. Diese Peinlichkeit möchte ich mir gerne ersparen. Immerhin werde ich bald 30 und falle ungern in mein 13-jähriges Ich zurück.

Feuchtgebiete. Über Hämorriden schreiben  kann ich selber. Wenn auch für weniger Kohle. Dafür mit ähnlicher Reichweite.

Die Wanderhure. Geht einfach nicht. Es muss Leute geben, die das nicht lesen KÖNNEN. Ich opfere mich.

(To be continued)

Mittwoch, 11. Februar 2009

Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs

Ich bin vorsichtig mit Verfilmungen. Es gibt Bücher, die berühren mich so sehr, dass ich mir die Verfilmung nicht ansehen kann, so gut sie auch sein mag. Dann möchte ich allein sein mit meiner Vorstellung von der Geschichte und den Charakteren, und nicht sehen, was ein anderer daraus gemacht hat. "Atonement" (Abbitte) von Ian McEwan ist so ein Fall, und es liegt nicht einmal an Keira Knightley, dass ich den Film nicht sehen möchte - ich möchte mir einfach nicht das einzigartige Gefühl kaputt machen lassen, das ich beim Lesen hatte.

Manchmal haben Verfilmungen aber auch den Vorteil, dass sie einen erst mit einem guten Buch bekannt machen. Und so greife ich im Hugendubel zielstrebig nach der Neuauflage von "Zeiten des Aufruhrs", und einen Tag später läuft die Verfilmung im Kino an. Noch bevor ich die erste Seite aufschlage, haben sich Kate Winslet und Leonardo diCaprio natürlich schon in mein Gedächtnis eingebrannt, sind die Figuren Fleisch geworden, bevor ich mir überhaupt eine Vorstellung von ihnen machen kann.

Zu allem Übel schaue ich mir den Film an, als ich das Buch gerade erst zur Hälfte gelesen habe.

Und, das spricht sowohl für den Film als auch für das Buch: Es macht nichts. Beide sind großartig.

Es gibt Bücher, die verraten sehr schnell sehr viel: Ob sie von einem Mann oder einer Frau geschrieben wurden, in welcher Zeit, mit welcher Haltung. Viele Bücher sind so. Dieses nicht. Es spielt im Jahr 1955, aber die Ereignisse könnten genauso gut 2009 stattfinden. Es wurde 1961 veröffentlicht, hätte 1981 aber genauso gut gepasst wie 1991 oder 2001.

Diese Geschichte spielt immer in der Gegenwart und das macht sie so traurig.

April und Frank - das klingt nach trällernder Hausfrau und bodenständigem Ehemann. Beide sind fast 30, seit sieben Jahren verheiratet, haben zwei Kinder, sind vor einigen Jahren aus der Groß- in die Vorstadt gezogen. Und damit in die Enttäuschung. Die Versprechungen, mit denen ihre Ehe begann wurden nie eingelöst. Das Bild, das sie voneinander haben bröckelt. Die Erwartungen aneinander sind zu hoch, um sich je zu erfüllen.

Rettung verspricht ein Umzug nach Paris. Lass uns einfach weggehen, neu anfangen, endlich so sein, wie wir wirklich sind, schlägt April vor. Und erkennt nur langsam: Frank ist schon längst so, wie er wirklich ist. Die Rolle des empfindsamen Intellektuellen, der in einem langweiligen Bürojob gefangen ist, spielt er nur. Für sie.

Doch April und Frank planen ein Leben in Paris. In ihrer naiven, fast kindlichen Aufregung und Vorfreude erinnern sie fast zu deutlich an die vielen deutschen Familien, die seit einiger Zeit begleitet von diversen Fernsehsendern das Land verlassen. In Neuseeland endlich neu anfangen. In Norwegen endlich mehr Geld verdienen. In Braslilien endlich den Traum von der eigenen Bar verwirklichen. In Kanada endlich die Beziehung kitten.

In Paris endlich die Menschen werden, die wir immer sein wollten.

April und Frank werden es nicht schaffen. Ihre Geschichte endet tragisch. Als das Buch schon einige Tage im Regal steht und ich längst ein neues angefangen habe, frage ich mich, welches Ende die Zeiten des Aufruhrs gefunden hätten, hätten April und Frank es doch nach Paris geschafft.

Wahrscheinlich ein noch tragischeres.

Richard Yates. Zeiten des Aufruhrs. DVA, 2008. (Engl. Revolutionary Road, 1961)

Freitag, 6. Februar 2009

Jodi Picoult: Beim Leben meiner Schwester

Jodi Picoult ist eine Meisterin: Ihre Bücher wirken an der Oberfläche immer ein bisschen banal, die Figuren ein bisschen zu glatt, die Dialoge ein bisschen sehr gestelzt. Das ist auch bei diesem Buch so, selbst wenn man wie hier von Beginn an weiß, dass das Thema das Banale, Glatte, Gestelzte bald aufrauen und dann brechen wird.

Die Fitzgeralds könnten eine Vorzeige-Familie sein, wie sie da in ihrer Neuengland-Idylle leben - der Vater starker, aber sensibler Feuerwehrmann. Die Mutter immer für die Kinder da. Zwei hübsche Töchter, ein Sohn. Doch die Indian-Summer-Kulisse spielt nur Idylle für ein Leben, das schon lange nicht mehr idyllisch ist. Das zweite Kind der Fitzgeralds, die Tochter Kate, erkrankt mit zwei Jahren an einer hochaggressiven Form von Leukämie. Um sie zu retten, zeugen die Fitzgeralds noch ein Kind, ein sogenanntes Designer-Baby, das genau zu Kate passt - mit den Stammzellen aus seiner Nabelschnur soll sie gerettet werden. Allein das Thema hätte schon gereicht für einen Roman, aber Picoult dreht es weiter und weiter, und plötzlich schlage ich nur atemlos die Seiten um.
Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, alle Figuren kommen zu Wort. Am eindringlichsten erzählt Anna, mittlerweile 13 Jahre alt, die seit sie denken kann für ihre (immer wieder kranke) Schwester Stammzellen spendet. Nur weil Anna da ist, kann Kate überleben. Und jetzt soll sie ihr eine Niere spenden, doch Anna will nicht mehr und nimmt sich einen Anwalt.
Dieses Buch macht es einem schwer, eine Seite zu beziehen, und das ist gut. Man gibt Anna recht, die endlich ein normales Leben führen will, und unter der Last, ständig als Lebensretterin verfügbar sein zu müssen, wahnsinnig leidet. Aber man versteht auch die Mutter, die alles tun will, um ihr Kind vor dem Tod zu retten, den Vater, der loslassen möchte, den Sohn, den alle immer vergessen. Wer meint, hier einen klaren Standpunkt beziehen zu können, hat vieles nicht verstanden.

Ich mag das Buch, weil es es einem nicht einfach macht und sich trotzdem aufregend liest. Außerdem gibt es als Subplot eine rührseelige, aber nette Liebesgeschichte, die mir wiederholt das Wasser in die Augen getrieben hat.

Die wahre Meisterleistung ist aber der Schluss - unvorhersehbar, überraschend, erschreckend. Ich war ehrlich aufgewühlt - und froh, dass ich danach in der Kneipe verabredet war und mich bei einem Guiness beruhigen konnte.

Großartiges Buch.

Jodi Picoult. Beim Leben meiner Schwester. Piper, 2007. (Engl. My Sister's Keeper, 2004)

John Banville: Die See

Der zweite Booker-Prize-Gewinner, den ich nicht mag. Bei "The Inheritance of Loss" von Kiran Desai schob ich es noch auf mangelndes intellektuelles Verständnis meinerseits. Auch war mir hinterher klar, dass man ein solches Buch nicht bei 26 Grad am Pool lesen sollte. Booker-Prize-Gewinner brauchen eine andere Stimmung - kühler, windiger, alles eher in braun und grün gehalten.

Damit konnte ich bei "Die See" (ich habe die deutsche Übersetzung gelesen) schon mal dienen: Es war Januar, draußen kühl, windig, braun-grün. Trotzdem hat es mir nicht gefallen.

Zeitungsleser, so wird Journalisten immer wieder eingebleut, stellen sich unterbewusst bei jedem Artikel die Frage "Warum soll ich das lesen?" Diese Frage soll der Autor möglichst schnell beantworten, aber dalli, sonst steigt der Leser nämlich aus.

Dem einen oder anderen Schriftsteller könnte man mal stecken, dass sich ihre Klientel genau das bisweilen auch fragt.

Ich frage also: Mr. Banville, warum soll ich das lesen?
Mr. Banville: schweigt.

Ich: Also gut, da ist also Ihr Ich-Erzähler, der sich Max nennt, aber anscheinend nicht so heißt, egal. Er hat seine Frau verloren, er versteht sich nicht mit seiner Tochter, er verdient sein Geld mit Biografien über Künstler, die keiner kennt. Um über den Verlust seiner Frau hinwegzukommen, mietet er sich in einer Pension an der irischen Küste ein. Hier hat er vor einem halben Jahrhundert als etwa Elfjähriger mit einer befreundeten Familie einen denkwürdigen Sommer verbracht - alles ein bisschen schwülstig, denn einerseits fühlte er sich zu den großen, weichen Brüsten der Mutter, andererseits zur knochigen, knabenhaften Tochter hingezogen (typische Alt-Männerphantasie, mir fallen gleich die Augen zu). Es gibt noch einen Bruder, der nicht spricht, Gründe werden keine genannt, und irgendwann gehen die Geschwister - die natürlich symbiotisch, liebespaarmäßig verbunden sind - gemeinsam ins Meer. Der Ich-Erzähler fühlt sich irgendwie schuldig. Am Ende besäuft er sich und landet auch fast im Meer, also in der See, wird aber gerettet, irgendwie.
Das alles also habe ich gelesen und mich auf jeder Seite gefragt: warum eigentlich. Haben Sie eine Antwort? Hallo? Mr. Banville?

Mr. Banville: schweigt. 218 Seiten lang. Sehr kleine Schrift.


John Banville. Die See. Goldmann, 2008. (Engl. The Sea, 2005)

Alan Bennett: The Uncommon Reader

Die Idee ist so zauberhaft wie unrealistisch: Bei dem Versuch, ihre Corgies einzufangen, entdeckt die Queen am Buckingham Palace einen Bücherei-Bus, der am Kücheneingang neben den Mülltonnen (!) parkt.

Aber bevor ich darüber noch den Kopf schütteln konnte, hat er mich schon gekriegt, der Mr. Bennett. Aus Höflichkeit leiht sich die Queen ein Buch aus - weil sie von Literatur überhaupt keine Ahnung hat, nimmt sie einfach einen Roman, dessen Autorin sie kennt ("I made her a Dame!"), findet das Buch zwar todlangweilig, leiht sich aber gleich wieder eines aus.

Von nun an liest die Queen und liest und liest und liest. Das ganze wird noch ein bisschen absurder, als sie sich mit dem rothaarigen, sehr belesenen Küchenjungen Norman anfreundet. Norman beginnt, die Queen bei der Literaturauswahl zu beraten, und weil Norman auch sehr schwul ist, ackert sie sich brav durch die Werke einer ganzen Menge homosexueller Schriftsteller. Von da an kein Halten mehr: Legt die Queen ein Buch aus der Hand, dann nur, um das nächste zu beginnen - immer argwöhnischer beäugt von Prinzgemahl, Personal und Privatsekretär.

Am zauberhaftesten ist dieses kleine Buch, wenn die Queen traurig erkennt, was sie alles verpasst hat: Was für anregende Gespräche hätte sie mit all den Schriftstellern führen können, die sie getroffen hat. Sie kannte Katherine Mansfield, T.S. Eliot, Philip Larkin, Ted Hughes - nie hatte sie gewusst, was sie sagen sollte, nie hatte es sie interessiert, was die Schreiber ihr erzählten. "What a waste", bedauert sie.
Aber ganz geschmeichelte ältere Dame sie ist gerührt, als sie in E.M. Fosters Biografie liest, dass er sich fast in sie verliebt hätte - wäre sie denn ein Junge gewesen. Dabei hatte sie ihn damals so komisch gefunden mit seiner kleinen Stimme und den aneinander gepressten Händen.

Meine Lieblingsstelle ist, als die Queen ins Sinnieren gerät und dann zu Norman sagt: "Do you know the area in which one would truly excel?" (...) "The pub quiz. One has been everywhere, seen everything and though one might have difficulty with pop music and some sport, when it comes to the capital of Zimbabwe, say, or the principal exports of New South Wales, I have all that at my fingertips."

Und die Selbstverständlichkeit mit der die Queen von sich selbst grundsätzlich als "One" spricht, ist so großmütterlich-rührend, das meine zarte, versteckte Monarchisten-Seele sofort aufhorchte.

Gegen Ende wird der Zauber leider etwas matt, die Konstruktion noch konstruierter. Plötzlich will die Queen selbst schreiben, aus Genuss wird Ambition. Das geschieht so abrupt - aber mit 120 Seiten ist das Buch ja auch nicht sehr lang - dass ich ein bisschen verärgert war.



Schade. Aber trotzdem ein sehr feines, kleines Buch.



Alan Bennett. The Uncommon Reader. Profile Books, 2007. (Dt. Die souveräne Leserin)