Freitag, 3. Juli 2009

Marc Buhl: drei sieben fünf

Gute Literatur muss nicht viel Worte machen, sie braucht auch keine großen Worte, und keine geschliffenen Sätze. Gute Literatur braucht einfache Worte, Sätze, denen alle Schnörkel abgewetzt wurden und die mit wenig Worten alles sagen. Gute Literatur, das ist Marc Buhl, und er schreibt solche Sätze.

"Irgendwann war die Zeit ganz aus den Fugen geraten. Die Zeit und der Raum. Mal war sein Körper so aufgedunsen, dass er die ganze Zelle füllte und sie fast platzte. Ein andermal war er so klein, dass er Angst hatte, in einem der Ritze zwischen den Wülsten der Wand zu verschwinden."

Der, um den es geht, ist Paul Cremer. Er war einmal diese Nummer, die dem Buch seinen Namen gibt. 375. Paul Cremer weiß das nicht mehr, denn er hat sich in den Kopf geschossen. Damit hat er zwar nicht sein Leben ausgelöscht, aber die letzten 18 Jahre. Für Paul Cremer, der in einer Reha-Klinik im Badischen liegt, ist es 1989, er ist 22 Jahre alt, verliebt in Hanna, wohnt in Berlin.

Das, was er ausgelöscht hat, sind die Monate als letzter Häftling der Staatssicherheit der DDR, kurz vor der Wende, und die Jahre der Verdrängung danach. Auf Kapitel, in denen Cremer versucht, sich an das Jahr 2007 zu gewöhnen, folgen Kapitel, die aus dem Jahr 1989 erzählen. Wie er aus, scheinbar, heiterem Himmel festgenommen wird. Die Einlieferung ins Gefängnis. Die kahle Zelle, in der es nach Urin riecht. Die Neonröhre an der Decke, die immer brennt und ihn nicht schlafen lässt. Die endlosen Verhöre. Cremers Angst, seine Wut, seine Resignation. Diese Kapitel tun fast körperlich weh, sie gehen einem nah, weil sie dicht beschrieben sind, und am liebsten würde man das Kapitel einfach auslassen oder das Buch zuklappen. Dem Unrecht, das geschehen ist, einfach den Rücken zu kehren.

Cremer hat das wohl versucht, in den Jahren nach der Haft, aber es hat ihn eingeholt, nicht mehr losgelassen, er wollte nicht mehr leben deswegen. Nachdem er aus dem Koma erwacht ist, stellt sich nicht nur die Frage, was passiert ist, sondern vor allem: Will oder soll er es überhaupt wissen? Nein, sagt sein Therapeut, der meint, das wir uns an manches auch deswegen nicht erinnern, um uns zu schützen. Doch, sagt ein todgeweihter Mit-Patient. Alles andere kratze nur an der Oberfläche. Cremer müsse sich erinnern, um aus der Vergangenheit Kraft zu schöpfen wir die Zukunft, wie auch immer die aussehe.

Der Vergangenheit können wir nicht entkommen, nicht einmal mit einer Kugel im Kopf. Sie holt uns ein - aber das muss nichts schlechtes bedeuten. Für Cremer gibt es sogar ein Happy End.

Marc Buhl. drei sieben fünf. Eichborn, 2007.

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