Dienstag, 10. November 2009

Jodi Picoult: 19 Minuten.

Irgendwas stört mich an Jodi Picoult und lange wusste ich nicht, was.
Ich habe Beim Leben meiner Schwester hier über den grünen Klee gelobt.
Von Die Wahrheit meines Vaters war ich enttäuscht, aber auch nur irgendwie, ich konnte gar nicht sagen, was mich gestört hat. Schon wieder eine Geschichte aus mehreren Perspektiven, dachte ich, vielleicht nervt das langsam.

Und ja, die Hauptfigur. So nett. So schön. So klug. So glatt, dass es glitscht.

Nun also 19 Minuten. Ein 17-jähriger Junge geht morgens in seine High-School, schießt um sich, tötet mehrere Mitschüler und einen Lehrer. Das Thema ist aktuell, Winnenden gerade mal ein halbes Jahr her, als ich das Buch in die Hand nehme. 

Die Geschichte ist gut und sie ist gut erzählt. Picoults Erzählkniff, die verschiedenen Perspektiven, die vielen Stimmen und Gefühle sind sinnvoll. Jede Figur bekommt ihren Raum, sie darf Mitleid erregen, Verständnis erzeugen, auch der Täter. Eigentlich gut - aber dadurch gerät das Buch fast zu harmonisch. Und das wird dem Thema nicht gerecht. Und vielleicht ist das gar kein Erzählkniff. Vielleicht kann und will sich die Autorin auch einfach nicht für eine Perspektive entscheiden und diese konsequent durchziehen. Zum Beispiel die Perspektive des Täters.

Der bleibt seltsam blass, eindimensional. Ein weinerlicher Junge, der schon zu lange Opfer ist, der ausbrechen wollte und sich in seiner Zelle im Selbstmitleid suhlt. Eine Erklärung für seine Tat kann Picoult nicht liefern. Manche laufen Amok, andere nicht - das scheint ihre einzige Antwort auf die Frage nach dem Warum zu sein.
Die Perspektive des Täters fällt Picoult schwer, das ist mir schon bei Die Wahrheit meines Vaters aufgefallen. 

Mit umso mehr Verve stürzt sie sich auf alle anderen Protagonisten: Mütter, Väter, Töchter, Polizisten, Anwälte. Jeder bekommt seinen eigenen Mikrokosmos aus Gefühlen, Verstrickungen und Problemen. Eigentlich schön. Aber maßlos überzeichnet. Da ist es wieder, das zu schöne, nette, glatte, glitschige.

Die Mutter des Täters ist nicht nur eine Mutter, die schon einen Sohn verloren hat. Sie ist auch noch Hebamme, eine, die dem Leben auf die Welt hilft, während ihr Sohn es auslöscht.
Der Vater des Täters ist nicht nur ein College-Professor, er ist auch noch Glücksforscher. Einer, der nach einer Formel sucht, wie man glücklich wird.
Die Mutter eines verletzten Mädchens ist nicht nur die Mutter eines traumatisierten Kindes, sie ist auch noch Richterin und will den Prozess leiten - die schöne, nette und glatte Personifizierung der Justitia.
Das verletzte Mädchen ist auch nicht einfach nur traumatisiert und geschockt, weil ihr Freund, der Schönling der Schule, erschossen wurde. Nein, sie war auch noch schwanger von ihm, mit 16, hatte aber - puh - kurz vor dem Amoklauf eine Fehlgeburt.

Das ist mir zu viel Holzhammermethode, zu viel "Sieh hin! So ist das gemeint!" - wahrscheinlich hat mich das bei den anderen Büchern unterschwellig auch schon gestört. Und nach Ende der Lektüre ein bisschen an Michael Moores Stupid White Men erinnert.

Vielleicht ist der Vergleich ein bisschen an den Haaren herbei gezogen, aber da kam ich mir manchmal auch vor, als sei das Buch für die ganz Blöden, die es sonst nicht kapieren und keinen Platz für eigene Gedanken brauchen.

Jodi Picoult. 19 Minuten. Piper, 2009 (Engl. 19 Minutes).

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