Samstag, 7. November 2009

Andrew Sean Greer: Die Geschichte einer Ehe

Viel zu selten bekommt man Bücher geschenkt, noch seltener solche, die man sich nicht gewünscht hat. In Zeiten, in denen Menschen das Internet mit ihren Amazon-Wunschzetteln überfluten, ist das nicht mehr vorgesehen.

Dabei ist es interessant, auch von Schenker-Seite betrachtet. Ein Buch zu verschenken, das sich der Beschenkte nicht ausdrücklich gewünscht, ist heikel. Hat er es vielleicht schon gelesen? Kennt er den Autor schon und mag nicht, was er schreibt? Und wenn er mit dem Thema so gar nichts anfangen kann?

Ich versuche dann meist, Bücher zu schenken, die ich selbst schon gelesen habe und die ich großartig fand. Das hat mit Sendungsbewusstsein zu tun, ich gebe es zu. Manchmal wird dieses Sendungsbewusstsein enttäuscht, der Beschenkte mag das Buch nicht. Dann verschenke ich beim nächsten Mal aus Trotz ein Buch, dass ich selbst nicht kenne.

Noch heikler: Am Ende ist es wirklich grottenschlecht, der Beschenkte ärgert sich und ich habe ein schlechtes Gewissen.

Manchmal funktioniert es aber auch.

Vorliegendes Buch also war ein Geschenk - das finde ich erstens toll, weil ich Geschenke per se mag, und zweitens, weil ich es mir selbst wahrscheinlich nicht gekauft hätte. Wegen des Titels. Die Geschichte einer Ehe. Langweilig. Aber gut. Geben wir dieser Geschichte einer Chance.

Sie spielt in den 1950er Jahren, handelt von Pearlie, einer braven Gattin und Hausfrau, die mit Mann, Kind und Hund in einer adretten, sauberen, idyllischen Vorstadt von San Francisco lebt. Ihr Mann, Holland, ist vom Krieg stark traumatisiert - Pearlie weiß nicht wirklich, woher, versucht jedoch, deshalb alles wasHolland ärgern, erschrecken oder durcheinander bringen könnte, von ihm fern zu halten: Sie besorgt einen Hund, der nicht bellt. Sie durchforstet morgens die Zeitung und schneidet alle Schreckensmeldungen heraus, die Holland aus seiner lethargischen Geborgenheit reißen könnte. Und sie hält den Plan vor ihm geheim, der sein Leben verändern soll.

Eines Tages steht nämlich Buzz vor der Tür, ein teuer gekleideter, schöner Mann mit vollendeten Manieren und eröffnet Pearlie Ungeheuerliches: Er ist ein alter Freund Hollands aus Kriegstagen. Nicht nur das, er war sein Liebhaber, und er möchte ihn zurück. Buzz bietet Pearlie ganz unverfroren einen Deal an: Du gibst deinen Mann frei und ich ermögliche dir und deinem Sohn dafür mit meinem Geld ein sorgenfreies Leben.

Und Pearlie, die ihm nur das Beste für Holland will, die sich, ganz dem Rollenbild ihrer Zeit verhaftet, keine eigene Meinung erlaubt und nichts hinterfragt - Pearlie geht auf diesen Plan ein. Wenn dieses Leben mit Buzz für Holland das Beste sein soll, dann wird sie ihm nicht im Weg stehen. Aber so einfach ist es natürlich nicht.

Ein schönes Buch, keine Frage, mit einer wunderbaren Sprache und einem interessanten Thema.

Zwei Dinge habe mich gestört:

Erst am Ende des langen, ersten Kapitels erfahre ich, dass Pearlie schwarz ist. Pearlie, Holland und ihr Sohn sind eine schwarze Familie in einer weißen Vorstadt, zu einer Zeit, in der die Rassentrennung in den USA noch Normalität war. Buzz ist weiß. Das alles erfahre ich erst im letzten Satz des ersten Kapitels, nachdem die Figuren dieser Geschichte bereits 67 Seiten lang in meinem Kopf existieren. Und dort sind sie natürlich nicht schwarz. Vielleicht will der Autor mir so einen Spiegel vorhalten, mir zeigen, welchen Klischees, Stereotypen und falschen Vorstellungen ich verhaftet bin, ohne es zu merken. Ich als Leserin aber ärgere mich. Ich fühle mich veräppelt. Und habe für die restlichen fast 200 Seiten große Probleme, mir diese Figuren vorzustellen, weil meine erste Vorstellung immer mit meiner zweiten kollidiert.

Irritiert hat mich außerdem, wie Pearlie die homosexuelle Beziehung hinnimmt. Diese Geschichte spielt in den prüden 1950er Jahren, ich glaube es ihrer Protagonistin einfach nicht, dass sie diesen Nebenbuhler so gleichmütig akzeptiert. Nein, sie scheint den engelsgleichen Buzz und Holland, dessen Schönheit sie immer wieder beschwört, sogar für das bessere Paar zu halten. So überzeugt ist sie davon, dass sie sich gar nicht vorstellen kann, Holland könnte anderer Meinung sein und gar nicht mit Buzz weggehen wollen.
Das Dreieck Pearlie-Holland-Buzz wirft so viele Fragen auf, streift so viele Konflikte - aber es sucht keine Antworten, lässt keinen Konflikt zu: Die Belastung, schwarz zu sein, in einer weißen Gesellschaft. Die Belastung einer homosexuellen Beziehung, die damals verboten war. Die Angst, das Kartenhaus einer heilen Familie zu verlassen. Die Angst vor gesellschaftlicher Ächtung.

Das alles brodelt nur unter der Oberfläche. Währenddessen irren Buzz und Pearlie über einen Nebenschauplatz, verrennen sich in die Vorstellung, Holland betrüge sie beide mit einem jungen (weißen) Mädchen, das sie in Zukunft von ihm fernhalten müssen.

Weil die ganze Geschichte dieser Ehe konsequent aus der Sicht von Pearlie erzählt wird, bleiben die anderen Figuren, vor allem Holland, unscharf, fast unsichtbar. Pearlie selbst ist gefangen in ihrer Zeit, sie hat nie etwas anderes gelernt als sich Männern unterzuordnen. Sie tut alles für ihren Gatten. Aber auch für den weißen Mann, der an ihrer Tür klingelt.

Holland entscheidet sich schließlich gegen Buzz und für die Frau, die brav jeden Morgen die Zeitung für ihn zensiert.

Andrew Sean Greer. Die Geschichte einer Ehe. Fischer, 2009. (Engl. The Story of a Marriage)

2 Kommentare:

  1. Endlich mal wieder was zu lesen. Danke. az

    AntwortenLöschen
  2. Wenn Sie erreichen möchten, dass andere das Buch auch noch lesen, wäre es besser, sich in der Nacherzählung kürzer zu fassen und nicht wesentliche Dinge und schon gar nicht das Ende zu verraten.

    AntwortenLöschen