Mittwoch, 11. Februar 2009

Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs

Ich bin vorsichtig mit Verfilmungen. Es gibt Bücher, die berühren mich so sehr, dass ich mir die Verfilmung nicht ansehen kann, so gut sie auch sein mag. Dann möchte ich allein sein mit meiner Vorstellung von der Geschichte und den Charakteren, und nicht sehen, was ein anderer daraus gemacht hat. "Atonement" (Abbitte) von Ian McEwan ist so ein Fall, und es liegt nicht einmal an Keira Knightley, dass ich den Film nicht sehen möchte - ich möchte mir einfach nicht das einzigartige Gefühl kaputt machen lassen, das ich beim Lesen hatte.

Manchmal haben Verfilmungen aber auch den Vorteil, dass sie einen erst mit einem guten Buch bekannt machen. Und so greife ich im Hugendubel zielstrebig nach der Neuauflage von "Zeiten des Aufruhrs", und einen Tag später läuft die Verfilmung im Kino an. Noch bevor ich die erste Seite aufschlage, haben sich Kate Winslet und Leonardo diCaprio natürlich schon in mein Gedächtnis eingebrannt, sind die Figuren Fleisch geworden, bevor ich mir überhaupt eine Vorstellung von ihnen machen kann.

Zu allem Übel schaue ich mir den Film an, als ich das Buch gerade erst zur Hälfte gelesen habe.

Und, das spricht sowohl für den Film als auch für das Buch: Es macht nichts. Beide sind großartig.

Es gibt Bücher, die verraten sehr schnell sehr viel: Ob sie von einem Mann oder einer Frau geschrieben wurden, in welcher Zeit, mit welcher Haltung. Viele Bücher sind so. Dieses nicht. Es spielt im Jahr 1955, aber die Ereignisse könnten genauso gut 2009 stattfinden. Es wurde 1961 veröffentlicht, hätte 1981 aber genauso gut gepasst wie 1991 oder 2001.

Diese Geschichte spielt immer in der Gegenwart und das macht sie so traurig.

April und Frank - das klingt nach trällernder Hausfrau und bodenständigem Ehemann. Beide sind fast 30, seit sieben Jahren verheiratet, haben zwei Kinder, sind vor einigen Jahren aus der Groß- in die Vorstadt gezogen. Und damit in die Enttäuschung. Die Versprechungen, mit denen ihre Ehe begann wurden nie eingelöst. Das Bild, das sie voneinander haben bröckelt. Die Erwartungen aneinander sind zu hoch, um sich je zu erfüllen.

Rettung verspricht ein Umzug nach Paris. Lass uns einfach weggehen, neu anfangen, endlich so sein, wie wir wirklich sind, schlägt April vor. Und erkennt nur langsam: Frank ist schon längst so, wie er wirklich ist. Die Rolle des empfindsamen Intellektuellen, der in einem langweiligen Bürojob gefangen ist, spielt er nur. Für sie.

Doch April und Frank planen ein Leben in Paris. In ihrer naiven, fast kindlichen Aufregung und Vorfreude erinnern sie fast zu deutlich an die vielen deutschen Familien, die seit einiger Zeit begleitet von diversen Fernsehsendern das Land verlassen. In Neuseeland endlich neu anfangen. In Norwegen endlich mehr Geld verdienen. In Braslilien endlich den Traum von der eigenen Bar verwirklichen. In Kanada endlich die Beziehung kitten.

In Paris endlich die Menschen werden, die wir immer sein wollten.

April und Frank werden es nicht schaffen. Ihre Geschichte endet tragisch. Als das Buch schon einige Tage im Regal steht und ich längst ein neues angefangen habe, frage ich mich, welches Ende die Zeiten des Aufruhrs gefunden hätten, hätten April und Frank es doch nach Paris geschafft.

Wahrscheinlich ein noch tragischeres.

Richard Yates. Zeiten des Aufruhrs. DVA, 2008. (Engl. Revolutionary Road, 1961)

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